Physiknobelpreis 1988: Leon Max Lederman — Melvin Schwartz — Jack Steinberger

Physiknobelpreis 1988: Leon Max Lederman — Melvin Schwartz — Jack Steinberger
Physiknobelpreis 1988: Leon Max Lederman — Melvin Schwartz — Jack Steinberger
 
Die Amerikaner wurden für ihre grundlegenden Experimente über Neutrinos— schwach wechselwirkende Elementarteilchen mit verschwindender oder sehr kleiner Ruhemasse — ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Leon Max Lederman, * New York 15. 7. 1922; 1954-79 Professor in New York, ab 1979 Direktor des Nationalen Fermi-Beschleunigerlabors (Fermilab) in Batavia (Illinois).
 
Melvin Schwartz, * New York 2. 11. 1932; 1966-83 Professor an der Stanford University in Palo Alto (Kalifornien), ab 1970 Geschäftsführer des Unternehmens Digital Pathways.
 
Jack Steinberger, * Bad Kissingen (Deutschland) 25. 5. 1921; seit 1934 in den USA, 1950-71 Professor an der Columbia University in New York, ab 1968 am CERN in Genf.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Der radioaktive Betazerfall, das Freisetzen von Elektronen aus radioaktiven Substanzen, blieb viele Jahre ein physikalisches Rätsel. Der bei der Elektronenemission beobachtete Energieverlust ließ sich nicht erklären. Als Wolfgang Pauli (Nobelpreis 1945) 1931 zur Erklärung der verschwundenen Energie ein neues, nahezu masseloses Teilchen »erfand«, schüttelten die Physiker der Zeit mehrheitlich den Kopf. Der italienische Physiker Enrico Fermi (Nobelpreis 1938) fühlte sich jedoch von der Idee angezogen und nannte das Teilchen Neutrino (italienisch; das kleine Neutrale). Den Namen hatte er von dem 1932 von dem englischen Physiker James Chadwick (Nobelpreis 1935) entdeckten Neutron abgeleitet. Er erwies sich aber auch deshalb als passend, da Neutrinos auf Materie keine Wirkung haben. Jede Sekunde wird der Mensch von vielen hundert Milliarden Neutrinos durchströmt, ohne dass diese Spuren hinterlassen. Neutrinos könnten ungehindert sogar eine Bleiplatte von mehreren Lichtjahren Dicke durchfliegen. Ihr indirekter experimenteller Nachweis gelang aufgrund dieses nahezu wirkungslosen Verhaltens erst 1956 durch den amerikanischen Physiker Frederic Reines (Nobelpreis 1995).
 
 Es begann in der Kaffeepause
 
Vor dem Hintergrund erschienen die wenig später begonnenen Forschungen der Preisträger als sehr mutig, ja verwegen. Den Anstoß zu ihren bahnbrechenden Arbeiten erfuhren sie während einer Kaffeepause. In der stimulierenden Atmosphäre des Forschungskreises um die Nobelpreisträger von 1957, Tsung Dao Lee und Chen Ning Yang, war die Notwendigkeit diskutiert worden, die schwache Wechselwirkung bei hohen Energien zu erforschen. Hierfür — so Malvin Schwartz' entscheidender Einfall — müsse es jedoch möglich sein, einen Neutrinostrahl zu produzieren und zu nutzen.
 
Schwartz, Lederman und Steinberger machten sich sofort an die neue Aufgabe. Während der nächsten zwei Jahre arbeiteten sie daran, einen ausreichend starken Strahl an Neutrinos zu erzeugen, der frei von allen anderen Teilchen ist. Mit ihrer »Columbia-Arbeitsgruppe« entwarfen sie auch den zur Messung der eigentlich nicht beobachtbaren Neutrinoreaktionen notwendigen Detektor.
 
Die Produktion einer großen Zahl von Neutrinos ist ein mehrstufiger Prozess. Im ersten Schritt beschossen die Forscher Beryllium mit hoch beschleunigten Protonen. Unter den Trümmern solcher Kollisionen befinden sich positive und negative Pionen (Pi-Mesonen), von denen die positiven in dem Protonenbeschleuniger weiter fliegen. Wie alle Mesonen sind sie radioaktiv. Etwa 21 Meter nach ihrer Entstehung aus der Beryllium-Zertrümmerung zerfallen sie in Leptonen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent je in ein positives Myon und ein Neutrino, alternativ in ein Positron und ein Neutrino.
 
Der entstandene Strahl aus hoch energetischen Neutrinos enthielt noch große Mengen an Pionen, Myonen und Elektronen. Daher ließen die Physiker als Absorber, der nur Neutrinos durchlässt, eine 13,5 Meter dicke Stahlwand quer zum Neutrinostrahl errichten. Den Stahl für diesen Klotz bezogen sie von abgewrackten Kriegsschiffen.Direkt dahinter wurde der Neutrinodetektor positioniert.
 
Die Neutrinos zu detektieren war eine Herausforderung besonderer Art. Deren extrem seltenen Wechselwirkungsprozesse kompensierten die Physiker auf doppelte Weise: Zum einen gelang es ihnen, einen dünnen, aber sehr intensiven Neutrinostrahl zu erzeugen. Gleich im ersten Durchgang lag die Zahl der Neutrinos bei mehreren hundert Milliarden je Sekunde. Da die »Teilchen« zudem eine sehr hohe kinetische Energie besaßen, erhöhte sich die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit noch einmal. Ihre zuvor nicht geprüfte Konstruktion einer zehn Tonnen schweren Funkenkammer als Nachweisinstrument war dennoch ein großes Wagnis.
 
 Rätselhafte Ergebnisse formen sich zu einem Bild
 
Der Detektor bestand aus einer großen Zahl Aluminiumplatten mit dazwischengesetzten kleinen Funkenkammern. Wird in einer der Platten von einem Neutrino ein Myon oder Elektron produziert, kann die Spur als eine Serie von Funken fotografiert werden. Der radioaktive Myon-Zerfall brachte die Experimentatoren ins Grübeln. Denn die gemessenen Ergebnisse stimmten ganz und gar nicht mit den theoretischen Berechnungen überein. Das Thema wurde vielen namhaften Physikern vorgelegt, ohne dass eine überzeugende Lösung gefunden wurde. Die einzig plausible Schlussfolgerung, die sich ergab, war, dass es zwei vollkommen verschiedene Typen von Neutrinos geben müsse.
 
Wenn die erzeugten Neutrinos mit den im Beta-minus-Zerfall — bei dem ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino zerfällt — entstehenden Neutrinos identisch waren, sollten die Reaktionen im Detektor das Neutrino zu gleichen Teilen in schnelle Elektronen und schnelle Myonen verwandeln. Sollte es jedoch zwei unterschiedliche Neutrinos geben, müssten ausschließlich Myonen entstehen. Der Detektor wurde daher so ausgerichtet, dass auch die Ursachen der Funkenspuren interpretiert werden konnten. Die neuen Resultate belegten, dass ausschließlich Myonen vom Neutrinostrahl produziert wurden. Der Schluss hieraus war eindeutig. Es musste ein Neutrino geben, das eine intime Partnerschaft mit dem Myon eingeht. In der Konsequenz musste es ein weiteres Neutrino geben, das eine entsprechende Paarung mit dem Elektron eingeht.
 
Zwar konnte mit den Ergebnissen noch immer nicht geklärt werden, ob Neutrinos eine Ruhemasse haben. Dennoch hellte sich das Bild der Elementarteilchen entscheidend auf. Die Entdeckung, dass es mindestens zwei Neutrinos, das Elektron-Neutrino und das Myon-Neutrino, gibt und dass man elektronische und myonische Leptonenladungen unterscheiden muss, führte zur Vorstellung der Dublettstruktur bei Leptonen. Jedem der drei Leptonen — Elektron, Myon und dem 1975 von dem US-amerikanischen Physiker Martin Perl (Nobelpreis 1995) entdeckten Tauon — kann ein eigenes Neutrino zugeordnet werden. Es wird nun von drei Lepton-Generationen gesprochen, zu denen je zwei Teilchen und die dazugehörigen Antiteilchen gehören.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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